IT Beratung Letzte Änderung: 22.06.2020, 15:29 Uhr Lesezeit: 10 Minuten

Entlastung für die Praxis: Jobsharing oder Sitz teilen?

Freie Sitze sind selten. Die meisten Planungsbereiche sind für das Gros der Gruppen gesperrt. Doch viele Praxen suchen nach einer Möglichkeit, eine Ärztin oder einen Arzt einzubinden. Zudem wünschen sich viele Ärzte oder Psychotherapeuten, die ihre Praxis perspektivisch abgeben möchten, eine „Übergangszeit“ mit ihrer Wunschnachfolgerin bzw. ihrem Wunschnachfolger.

Die Möglichkeiten zur Kooperation in der Praxis hat das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz seit 2007 erheblich erweitert. „Auch die Teilung eines Kassensitzes ist seither möglich“, sagt Andreas Bäcker, Niederlassungsberater der KV Nordrhein, der die Ärzte und Psychotherapeuten auch in Kooperationsfragen berät. In gesperrten Planungsbereichen ist dies eine Möglichkeit, eine neue Kollegin oder einen neuen Kollegen einzubeziehen. Die andere Möglichkeit ist das sogenannte Jobsharing.

Wie funktioniert Jobsharing?

Jobsharing ist ein „Entlastungsmodell“ für den Praxisinhaber – das spiegelt sich auch in der Abrechnung wider: Beim Jobsharing werden die von der gesamten Praxis abgerechneten Punkte der letzten vier abgerechneten Quartale quartalsbezogen „eingefroren“. Zusätzlich wird ein Zuschlag von einmalig drei Prozent der abgerechneten Punktzahlen des Fachgruppendurchschnitts auf diese Quartale addiert. Es sei denn, es wurde innerhalb des Bezugszeitraums der letzten vier Quartale weniger als der Durchschnitt der Fachgruppe zur Abrechnung gebracht.

Sollten Praxisinhaber und Jobsharer bei der gemeinsamen Tätigkeit die Punktzahlobergrenze überschreiten, ermittelt die KV die prozentuale Überschreitung. Anschließend wird aus jedem Leistungsbereich der Abrechnung, der in Punkten vergütet wird (Regelleistungsvolumen, freie Leistungen, Einzelleistungen), dieser prozentual ermittelte Wert gekürzt. Leistungen, die in Euro vergütet werden wie z.B. Laborkosten oder die DMP-Verträge und die Pauschale für die fachärztliche Grundversorgung (PFG), sind nicht von der Leistungsbegrenzung des Jobsharings betroffen.

Berechnen der Punktzahlenobergrenze

Im Jobsharing lässt sich die Leistungsmenge kaum steigern. Das verhindert die sogenannte Punktzahlenobergrenze. Wie diese berechnet wird, zeigt folgendes Beispiel:

Hausarzt Dr. Stefan Schmidt möchte zum 1. Juli 2020 einen hausärztlichen Kollegen im Jobsharing anstellen. Sobald Herr Dr. Schmidt den Antrag für die Anstellung beim zuständigen Zulassungsausschuss für Ärzte eingereicht hat, ermittelt die KV die abgerechneten Punktzahlen der letzten vier abgerechneten Quartale der Praxis.

Dr. Stefan Schmidt hat folgende Punktzahlen abgerechnet:
Quartal Punkte
4/2019: 946.897
3/2019: 844.978
2/2019: 989.776
1/2019: 798.620

Für das jeweilige Quartal ermittelt die KV die durchschnittlich von der Fachgruppe abgerechneten Punktzahlen. Zu den Punktzahlen der Praxis addiert die KV drei Prozent der durchschnittlichen Fachgruppen-Punktzahl.

3 Prozent des Fachgruppendurchschnitts in
4/2019: 15.850,7
3/2019: 15.944.9
2/2019: 16.778,5
1/2019: 15.862,2

Aus der Summe der vergangenheitsbezogenen praxisindividuellen Punktzahlen aus den o.g. vier Quartalen und den von der Fachgruppe abgerechneten Punkten in diesen Quartalen ergibt sich die Punktzahlobergrenze für die zukünftige, gemeinsame Tätigkeit im Jobsharing. Die muss die Praxis dem Zulassungsausschuss per Unterschrift bestätigen.

Anhand des oben genannten Beispiels gelten demnach ab dem Zeitpunkt des Jobsharings für jedes kommende erste, zweite, dritte und vierte Quartal im Jobsharing folgende Punktzahlenobergrenzen:

1. Quartal: 798.620 + 15.862,2 = 814.482,2
2. Quartal: 989.776 + 16.778,5 = 1.006.554,5
3. Quartal: 844.978 + 15.944.9 = 860.922,9
4. Quartal: 946.897 + 15.850,7 = 962.747,7

Mit Jobsharing lassen sich die Umsätze in den mit Punkten bewerteten Bereichen kaum steigern. Geeignet ist Jobsharing daher für Praxen, die nicht wachsen wollen oder können, sondern Entlastung suchen. Auch für Praxen, die eine „hohe Ausgangsbasis“ an abgerechneten Punkten haben, kann Jobsharing interessant sein, sofern der Praxisinhaber zukünftig deutlich „kürzertreten“ möchte. Ausnahme bilden Praxen, die unter dem durchschnittlichen Punktzahlvolumen ihrer Fachgruppe liegen. Diese dürfen im Jobsharing bis zum Durchschnitt der Fachgruppe wachsen (Psychotherapeuten sogar 25% über den Durchschnitt der Fachgruppe hinaus).

Angestellter oder Partner

Der Praxis stehen zulassungsrechtlich zwei verschiedene Formen des Jobsharings zur Auswahl: Jobsharing-Anstellung und Jobsharing-Partnerschaft (oft auch Jobsharing-Zulassung genannt). Bei beiden Varianten existiert die oben beschriebene Leistungsbegrenzung. Voraussetzung für beide Varianten ist zudem die Fachidentität.

Die Varianten unterscheiden sich vor allem durch den Status des Jobsharers in der Praxis. Von der Wochenarbeitszeit des künftigen Jobsharing-Angestellten oder des Jobsharing-Zugelassenen bleibt die Leistungsbegrenzung unberührt, und zwar unabhängig davon, ob ein Jobsharing-Angestellter für 4 oder 40 Stunden beschäftigt ist.

Ein Angestellter übt seine Tätigkeit in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Wer die Anstellung beim Zulassungsausschuss beantragt, muss neben den Antragsunterlagen auch den Arbeitsvertrag beifügen. Anders ist es beim Jobsharing-Partner: Hier schließt man einen Gesellschaftsvertrag, der unter anderem die Gewinn- und Verlustverteilung der Praxis regelt. Zudem erhalten Jobsharing-Partner unabhängig von den Zulassungsbeschränkungen nach zehn Jahren der gemeinsamen Tätigkeit automatisch eine eigene Vollzulassung. Diese gibt es für angestellte Jobsharer nicht.

Was passiert, wenn ein Planungsbereich auf Grundlage der Bedarfsplanung partiell geöffnet wird, also freie Sitze verfügbar werden? Dann erhalten die Jobsharing-Partner zuerst eine eigene Zulassung - und zwar in der Reihenfolge der längsten Tätigkeit. Gibt es mehr freie Sitze als Jobsharing-Partner in diesem Planungsbereich, werden die Jobsharing-Anstellungen bei der Verteilung der übrigen Sitze berücksichtigt. Hier sind der Tätigkeitsumfang und die Dauer der Tätigkeit die entscheidenden Kriterien. Die Jobsharing-Angestellten bleiben angestellt, die Leistungsbegrenzung des Jobsharings entfällt jedoch, sodass der Arbeitgeber ein zusätzliches Regelleistungsvolumen (RLV) für den Angestellten erhält.

Sitzteilung – eine echte Alternative

„Das Teilen bzw. Splitting von Sitzen wird immer beliebter“, berichtet Bäcker. Dabei kommen folgende Formen in Betracht:

  • Sitzteilung durch Verkauf eines halben Sitzes
  • Sitzteilung und Anstellung auf dem halben Sitz (Faktor 0,5)
  • Sitzteilung und Anstellung auf einem ¼ Sitz (Faktor 0,25)

Bei beiden Varianten muss der halbe bzw. ¼ Kassensitz im Rheinischen Ärzteblatt ausgeschrieben werden. Dazu stellt der Praxisinhaber beim Zulassungsausschuss einen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens, der Zulassungsausschuss entscheidet in seiner nächsten Sitzung über den Antrag. Wenn der Ausschuss der Ausschreibung des halben Sitzes zustimmt, leitet die KV das gesetzlich vorgegebene Ausschreibungsverfahren ein. Dies kann zwischen sechs bis neun Monate beanspruchen.

Zu bedenken gilt im Falle einer ¼ Arztstelle ferner, dass sie allein nur zum Zwecke einer Anstellungsgenehmigung von Antragstellern beworben werden kann, denn für eine freiberufliche Selbstständigkeit ist mindestens der Umfang eines Versorgungsauftrages von 0,5 erforderlich. 

Der wesentliche Unterschied zwischen den Varianten zeigt sich, wenn die Ausschreibung im Rheinischen Ärzteblatt erschienen ist: in der sogenannten Bewerbungsphase. Bei der ersten Variante bewirbt sich der Wunschnachfolger auf den ausgeschriebenen Sitz und übernimmt diesen als selbstständiger Arzt oder Psychotherapeut – wenn der Zulassungsausschuss dies genehmigt. Das heißt, dass er Inhaber und Eigentümer der Zulassung wird.

Bei der zweiten Variante bewirbt sich der Praxisinhaber selbst auf den ausgeschriebenen Kassensitz und teilt dem Zulassungsausschuss mit, dass er den Sitz nicht veräußern, sondern lediglich mit einem Angestellten besetzen möchte.

Bei der Anstellung ist zu beachten:

  • Ein Angestellter auf einem halben Sitz kann mindestens 11 bis höchstens 20 Stunden pro Woche in der vertragsärztlichen Versorgung tätig sein.
  • Der Praxisinhaber muss nach Teilung des Kassensitzes mindestens 12,5 Sprechstunden pro Woche für seine Patienten anbieten, bei einem vollen Sitz sind es mindestens 25 Stunden (Vorgaben des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä)).
  • Die Anstellung ist sozialversicherungspflichtig und somit keine Honorartätigkeit.
  • Der Angestelltensitz darf nicht länger als sechs Monate unbesetzt bleiben, sonst verfällt er.

Endet das Angestelltenverhältnis beispielsweise, weil der Angestellte kündigt, gibt es zwei Möglichkeiten:

1. Sofern ein anderer Angestellter derselben Fachrichtung (Facharzt bzw. Approbation Psychotherapeut) einspringen möchte, kann dies beim Zulassungsausschuss für Ärzte beantragt werden. Da Angestelltensitze sich auch vierteln lassen, können auf einem halben Angestelltensitz zwei Teilzeitangestellte mit bis zu 10 Stunden pro Woche für die Behandlung von Kassenpatienten beschäftigt werden.
2. Findet sich kein Angestellter, der auf dem freien (halben) Angestelltensitz arbeiten möchte, kann der Praxisinhaber den halben Kassensitz in eine halbe Zulassung umwandeln. Auch hierfür sind ein Antrag beim Zulassungsausschuss und die Ausschreibung im Rheinischen Ärzteblatt unumgänglich. Der Praxisinhaber bewirbt sich nach Veröffentlichung der Ausschreibung auf diesen halben Kassensitz und kann diesen nach Zustimmung durch den Zulassungsausschuss wieder zurückerlangen. Achtung: Das geht nur, wenn der Praxisinhaber nach Erlangen des halben Sitzes nicht mehr als einen vollen Kassensitz innehat.

Auswirkung auf das Honorar

Die wesentlichen Vorteile des Teilens von Sitzen im Vergleich zum Jobsharing sind die Wachstumsmöglichkeit und der „Kooperationszuschlag“ von zehn Prozent über das RLV hinaus. Dieser Zuschlag wird übrigens bei beiden Varianten der Sitzteilung gewährt.

Allerdings gibt es durch die Sitzteilung Änderungen in Bezug auf die Plausibilitätszeiten: Ein voller Versorgungsauftrag korrespondiert mit einer Prüfzeit von 780 Stunden je Quartal. Durch die Sitzteilung ändern sich zwar die im EBM (Anhang 3) angegebenen Zeitwerte nicht, allerdings halbiert sich das sogenannte Plausibilitätszeitprofil des zuvor zugelassenen Arztes von 780 auf 390 Stunden pro Quartal. Für angestellte Ärzte und Therapeuten gilt dieselbe Prüfzeit von 390 Stunden pro Quartal und zwar unabhängig davon, ob der Tätigkeitsumfang bei mindestens 11 oder maximal 20 Stunden pro Woche liegt (BSG-Urteil vom 30.10.2019 – B 6 KA 9/18 R).

Auswirkung auf das RLV/QZV: Das Regelleistungsvolumen (RLV) und das Qualifikationsbezogene Zusatzvolumen (QZV) werden ab dem 3. Quartal 2019 für alle Arztgruppen grundsätzlich auf Basis der aktuell abgerechneten Fallzahlen des jeweiligen Quartals berechnet. Im Falle einer Fallzahlzuwachsbegrenzung gemäß § 5 Abs. 4 HVM kann die RLV-Fallzahl des etablierten Arztes, der seinen Sitz geteilt hat, auf die Hälfte seiner Fallzahl des Vorjahresquartals, zuzüglich 5% Fallzahlwachstum, reduziert werden. Ärzte innerhalb der ersten 16 Niederlassungsquartale und Ärzte, deren Fallzahl unterhalb des Arztgruppendurchschnitts liegt, sind von der Fallzahlbegrenzung ausgenommen. Der Fallzahlzuwachs muss nur dann begrenzt werden, wenn die Fallzahl einer Arztgruppe um mehr als fünf Prozent höher liegt als im Vorjahresquartal (Dazu mehr im Artikel „Wie wird das RLV und QZV berechnet?“).

Fazit: Die Wirkungen eines Konstellationswechsels in der Praxis sind komplex und hängen von vielen Faktoren ab. Deshalb kann dieser Artikel nur einen ersten Einblick in dieses umfassende Thema bieten und somit keine individuelle Beratung ersetzen. Die Beraterteams der KV Nordrhein stehen Ihnen bei der Wahl der für Sie geeigneten Kooperationsform gern zur Verfügung.

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