KVNO aktuell Covid19 Letzte Änderung: 21.09.2023 14:00 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Veranstaltung zu Long-COVID: Betroffene wollen ernst genommen werden

Bei der Veranstaltung der KV Nordrhein (KVNO) „Long-COVID – eine Herausforderung im Versorgungssystem“ diskutierten Fachleute und Betroffene unter anderem über die Versorgung in den haus- und fachärztlichen Praxen, die notwendige Vernetzung zwischen allen Beteiligten und den aktuellen Stand der Forschung.

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© niphon/AdobeStock

So individuell die Symptome einer Long-COVID-Erkrankung sind, so sehr gleichen sich dennoch die Erfahrungen der Betroffenen: Ihr Leben hat sich durch die Erkrankung vollkommen verändert. „ ,Früher bin ich auf 2000 Meter hohe Berge geklettert, heute ist der Gang zum Briefkasten ein Abenteuer‘ “, zitierte Dr. med. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einen Patienten. Sie moderierte die Veranstaltung „Long-COVID – eine Herausforderung im Gesundheitssystem“ der KV Nordrhein in Düsseldorf. Etwa 50 Besucher nahmen vor Ort teil, fast 300 Zuschauer verfolgten die Vorträge und Fragerunden online.

Dr. med. Frank Bergmann, KVNO-Vorstandsvorsitzender, betonte: „Bei den meisten Erkrankten bilden sich die Spätfolgen einer Corona-Infektion innerhalb eines Jahres wieder zurück. Doch aufgrund der hohen Infektionszahlen ist auch die Zahl der Menschen hoch, die unter langfristigen Folgen leiden.“ Der Großteil dieser Patientinnen und Patienten wird in Hausarztpraxen begleitet. Nach den Auswertungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung haben zwischen Januar 2021 und März 2023 allein in Nordrhein Ärztinnen und Ärzte für mehr als 171.000 Patientinnen und Patienten Behandlungen von Post-COVID-Erkrankungen abgerechnet.
 
Die größten Herausforderungen dabei für Behandelnden: Bisher sind keine eindeutigen Marker bekannt, sodass die Diagnose nach wie vor nur durch ein Ausschlussverfahren gestellt werden kann. Ebenso gibt es bisher keine ursächliche Behandlung. Diese Situation belastet sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch die Betroffenen. Welch wichtige Rolle vor diesem Hintergrund auch die Selbsthilfe spielt, betonte Claudia Middendorf, Patienten- und Behindertenbeauftragte des Landes NRW. „Gemeinsam ist man stärker“, sagte sie und rief Betroffene zum Engagement in der Selbsthilfe auf, um gemeinsam Lücken im System festzustellen und Lösungsansätze für neue Strukturen zu finden.

Die bürokratischen Hürden erlebt auch Nadine Rommerwinkel immer wieder: Als Fachärztin für Innere Medizin füllte sie im Alltag ständig Formulare aus. Nach ihrer COVID-19-Erkrankung war ihre Leistungsfähigkeit nicht nur körperlich, sondern auch kognitiv so eingeschränkt, dass sie selbst Hilfe benötigte, um ihren Reha-Antrag auszufüllen. Heute setzt sie sich – soweit es ihre Kräfte inzwischen wieder zulassen – bei der Initiative „Long COVID Deutschland“ für andere Patientinnen und Patienten ein. Wie sie selbst leiden viele unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Damit fehlt Betroffenen auch die Energie, sich um nötige Schritte auf dem Weg zur Genesung bzw. Linderung zu kümmern. Deswegen seien laut Rommerwinkel Beratungsangebote dringend nötig. Dr. med. Inka Daniels-Haardt, Fachbereichsleiterin Infektiologie beim Landeszentrum Gesundheit NRW, verwies auf die zum Teil mangelnde Aufklärung bei ME/CSF, die auch nach anderen Infektionskrankheiten auftreten kann. „Ziel der stationären oder ambulanten Therapien soll in diesen Fällen nicht die Aktivierung, sondern das sogenannte Pacing sein. Patientinnen und Patienten müssen ihre Belastungsgrenzen kennenlernen und Strategien lernen, damit umzugehen“, betont sie.

Ihre Fachkollegin, Prof. Dr. med. Clara Lehman, forscht an der Uniklinik Köln zum Thema Long- und Post-COVID. Post-akute Infektionssyndrome (PAIS) seien bisher in der Forschung vernachlässigt worden. Durch die hohen Betroffenen-Zahlen bei Corona geraten PAIS nun in den Fokus. Die ersten Studien mit dem Arzneimittel BC 007 laufen, bisher gebe es allerdings keine kausale Behandlung. Hausarzt Dr. med. Matthias Schlochtermeier plädierte dafür, die Sorgen der Betroffenen ernst zu nehmen und Geld in die Forschung zu stecken. „Gleichzeitig sollten wir die Problematik aber auch nicht überschätzen. Ich und meine ebenfalls als Hausärztin tätige Frau behandeln derzeit keine Post-COVID-Patientinnen und –Patienten“, so der Medizinier mit Praxis in Hürth-Efferen.

Dr. med. Uwe Meier untermauert die Aussage seines Kollegen: Die Anzahl der Menschen mit langfristigen Spätfolgen sei kleiner als zunächst befürchtet. „Aber für die Menschen, die es betrifft, ist es ein gigantisches Problem“, stellte der Neurologe aus Grevenbroich klar. Zu den neurologischen Folgen gehören unter anderem Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Sprachschwierigkeiten, mangelndes planerisches Denken und die bereits angesprochene Fatique, die viele im Alltag besonders einschränkt. Laut Meier sei für Ärztinnen und Ärzte die Ausschlussdiagnose eine große Herausforderung, denn fünf Prozent der COVID-Erkrankten gäben laut einer Studie nach zwölf bis 16 Wochen an, unter mindestens einem von zwölf definierten Symptomen zu leiden. Das Problem: Drei Prozent der Menschen aus der Kontrollgruppe, die nie an COVID-19 erkrankt seien, machten die gleichen Angaben. „Gerade die Frage nach der Kausalität ist jedoch oft entscheidend für weitere Schritte – zum Beispiel, wenn es darum geht, ob es sich bei der Erkrankung um einen Berufsunfall handelt“, erläutert der Neurologe. Die verloren gegangene Lebensqualität führe zudem nicht selten zu Depressionen.

Behandelnde Ärztinnen und Ärzte müssen sich oft eingestehen, den Betroffenen nicht so konkret helfen zu können, wie sie es von anderen Erkrankungen gewohnt sind – eine Herausforderung. Es stehen viele Fragen im Raum: Wie führe ich schwierige Patientengespräche? Wie gehe ich mit meiner eigenen Unsicherheit um? In diesen Fällen kann die Mitarbeit in einem Qualitätszirkel (QZ) helfen. QZ-Tutor Dr. med. Hans-Helmut Brill gab einen Einblick in das QZ-Modul „Long COVID“, in dem Teilnehmende verschiedene Gesprächstechniken ausprobieren und sich mit Fragestellungen rund um das Thema mit Kolleginnen und Kollegen austauschen können.

  • Ina Armbruster

 

 

Zusammenfassung der Long-COVID-Veranstaltung

  • Betroffene müssen an allen Stellen des Gesundheitssystems ernst genommen werden. Das betrifft sowohl die ärztliche und psychotherapeutische Behandlung als auch die Kommunikation mit Krankenkassen, Behörden und anderen Institutionen.
  •  Ärztinnen und Ärzte sollten sich nicht voreilig auf die Diagnose Long- beziehungsweise Post-COVID festlegen. Nur durch genaue Differenzialdiagnostik können andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden.
  • Vor allem ME/CFS-Betroffene sollten keine aktivierende Therapie erhalten, sondern Pacing erlernen, um ihre Belastungsgrenzen einzuhalten.
  • Bei bettlägerigen Betroffenen sind Hausbesuche notwendig, die bisher zum Teil nicht gewährleistet sind.
  • Bis Ende des Jahres soll die neue, bundesweite Behandlungsrichtlinie mit Regelungen für eine verbesserte Versorgung fertiggestellt sein. Es ist wichtig, dass diese schnell verbreitet und angewendet wird.
  • Es muss mehr Geld in die Forschung investiert werden. Deutschland ist mit seinen Einrichtungen gut dafür aufgestellt.
  • Die Akteure im Gesundheitssystem müssen sich noch besser vernetzen. Einen Beitrag dazu können die neuen Telekonsile leisten (s. Seite 30).

Mitschnitt der Veranstaltung "Long-COVID - eine Herausforderung im Versorgungssystem"

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Bianca Wolter