KVNO aktuell Letzte Änderung: 19.05.2023 00:00 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Strukturfonds: Neue Ärzte braucht das Land

Die Sicherstellung der ambulanten Versorgung in Nordrhein steht im kommenden Jahrzehnt vor großen Herausforderungen. Die Babyboomer-Generation geht in Rente, viele Niedergelassene berichten bereits jetzt von Schwierigkeiten, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden. Die KV Nordrhein hat ihr Förderportfolio über den Strukturfonds deshalb deutlich erweitert. Seit Anfang des Jahres kümmert sich außerdem eine neue Abteilung um die Nachwuchsförderung.

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© Malinka | KV Nordrhein
Beim Praxisbörsentag (hier im Juni 2022) können sich an der Niederlassung Interessierte über Wege in die Vertragsarzttätigkeit und freie Sitze informieren. Publikumsmagnet: die Pinnwände mit Biete-/Suche-Aushängen. Der nächste Praxisbörsentag findet am 3. Juni 2023 im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf statt.

Jeder fünfte Hausarzt in Nordrhein ist 65 Jahre oder älter, weitere 20 Prozent werden in den kommenden sechs Jahren das Rentenalter erreichen. In den meisten Facharztgruppen zeigt sich die gleiche Entwicklung, zeitlich nur etwas nachgelagert. Die Folge ist, dass absehbar viele Vertragsärztinnen und -ärzte ihre Praxen aufgeben werden. Am liebsten würden sie sie an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger übergeben, doch das gestaltet sich in manchen Regionen des Rheinlands zunehmend schwierig. In einer Bedarfsprognose für das Jahr 2030 hat die KV Nordrhein errechnet, dass dann 67 der 94 Mittelbereiche für die hausärztliche Versorgung einen Versorgungsgrad unter 100 Prozent aufweisen. Aktuell sind es bereits 56.

Dabei ist es nicht so, dass es zu wenige Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung gibt. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren sogar konstant zugenommen. Die zur Verfügung stehende Arztzeit stagniert aber: Immer mehr Vertragsärztinnen und Ärzte sind in einer Praxis angestellt oder arbeiten in Teilzeit. Auch unter angehenden Medizinern können sich immer weniger eine unternehmerische Tätigkeit als Praxisinhaber vorstellen.

Deshalb wirbt die Leiterin der neuen KVNO-Abteilung „Nachwuchsförderung Ärzte und MFA“, Linda Pawelski, auch bereits an Universitäten für die spätere Tätigkeit im ambulanten Sektor. „Die Erwartungen an das Berufsleben sind heute ganz andere als noch vor 20 oder 30 Jahren. Es gibt einen weit verbreiteten Wunsch nach mehr Flexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was Arbeitsmodelle wie die Anstellung begünstigt. Das müssen wir anerkennen und dürfen auch nicht den Fehler begehen, der jüngeren Generation Konzepte oder Strukturen aufzudrängen, die nach heutigen Maßstäben für viele nicht mehr zeitgemäß sind“, meint sie. Sinnvoller sei es, die Ansprüche angehender Ärztinnen und Ärzte an ihre Tätigkeit ernst zu nehmen und auf sich abzeichnende Entwicklungen frühzeitig und mit den passenden Angeboten zu reagieren. Das kann allerdings nur dann gelingen, wenn der Austausch mit jungen Medizinerinnen und Medizinern im Fokus steht.

Neue Fördermaßnahmen

Parallel zur Nachwuchsförderung unternimmt die KV Nordrhein bereits seit vielen Jahren große Anstrengungen, bereits approbierte Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildungsphase oder Klinikmediziner für die Vertragsarzttätigkeit zu begeistern – bevorzugt in Regionen, in denen der Versorgungsgrad zurückgeht. Mit Mitteln aus dem Strukturfonds, der mit 0,1 bis 0,2 Prozent der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung und einem zusätzlichen Betrag in gleicher Höhe von den nordrheinischen Krankenkassen ausgestattet ist, fördert die KVNO seit 2018 den Einstieg in die vertragsärztliche Versorgung und weitere Maßnahmen zur Sicherstellung.

Das Förderportfolio ist zum 1. April 2023 noch einmal deutlich erweitert worden, zum Beispiel um telemedizinische Versorgungsangebote. So ist in Zukunft geplant, Modellprojekte, etwa die Telemedizin im Notdienst oder auch in der ländlichen Versorgung, als Sicherstellungsmaßnahmen finanziell zu unterstützen.

Neu ist auch die Förderung anerkannter Praxisnetze mit Mitteln des Strukturfonds. Praxisnetze sind eine bewährte Kooperationsform für regionale ärztliche Zusammenschlüsse. Sie sind wegen ihres geschlossenen, oft fachübergreifenden Rahmens und des übergeordneten Netzmanagements gut geeignet, Modellprojekte für die Sicherstellung der Versorgung zu etablieren. So können Praxen in Netzen zum Beispiel medizinfremde Aufgaben wie die Mitarbeiterrekrutierung oder den Einkauf von Praxismaterial gemeinschaftlich organisieren und an eine übergeordnete Instanz delegieren. Neben positiven wirtschaftlichen Effekten haben sie dadurch auch mehr Freiraum für die Erprobung neuer Versorgungsmodelle.

Als Anreiz sind die Fördersummen für zu gründende und anerkannte Netze deutlich erhöht worden. So ist erstmals eine Anschubfinanzierung für die Netzgründung und die Aufwendungen im Anerkennungsprozesses in den Förderkatalog aufgenommen worden. Für im Anerkennungsprozess befindliche Netze sind die Fördersummen in den jeweiligen Stufen aufgestockt worden. Außerdem gibt es für Praxisnetze die Möglichkeit, sich innovative Versorgungsprojekte fördern zu lassen. Gleichzeitig ist der Zeitraum für die Anerkennung von Netzen ab Gründung um ein Jahr auf jetzt zwei Jahre verkürzt worden. Die Vertreterversammlung der KVNO hat in ihrer letzten Sitzung die entsprechende Änderung der Förderrichtlinie für Praxisnetze beschlossen. Die neuen Regelungen treten im September in Kraft.

Förderung von Studierenden und MFA

Auch der Nachwuchsförderung wird im Rahmen des Strukturfonds künftig mehr Aufmerksamkeit zuteil. Neben der bereits bestehenden Förderung von Famulaturen (400 Euro pro Monat) und des Praktischen Jahres (600 Euro für bis zu vier Monate) plant die KV Nordrhein, ihre Beteiligung an der
Initiative Deutschlandstipendium auf alle fünf nordrheinischen Universitäten mit Medizinstudiengängen auszuweiten. Darüber hinaus wird über Veranstaltungsangebote an den Universitäten und Campusmessen der Kontakt mit Medizinstudierenden intensiviert, um sie bereits während des Studiums über die Vielzahl möglicher vertragsärztlicher Tätigkeitsformen fortlaufend zu informieren. Parallel hat die KV Nordrhein aber auch die Medizinischen Fachangestellten im Blick. Um im umkämpften Personalmarkt der medizinischen Assistenz für die Tätigkeit in der Praxis punkten und engagierte MFA halten zu können, sind im Rahmen des Strukturfonds ebenfalls Fördermaßnahmen vorgesehen.

KVNO auf Landpartie

Eine der Regionen, in denen die Niederlassung durch den Strukturfonds besonders gefördert wird, ist der Kreis Wesel. Dort fand am Ende April die „Landpartie“ der KV Nordrhein statt (zum Video dazu geht es über den QR-Code). Das im Jahr 2019 erstmals durchgeführte Veranstaltungsformat bringt Praxisabgebende beziehungsweise Praxen, die Ärztinnen oder Ärzte in Anstellung suchen, mit potenziellen Interessenten vor Ort zusammen, um gemeinsam Möglichkeiten des Praxiseinstiegs auszuloten und mit Vorurteilen der „Landarzttätigkeit“ aufzuräumen. In Wesel fand die Landpartie mittlerweile zum fünften Mal statt – diesmal mit einer Rekordbeteiligung von 13 Praxen und 22 an der vertragsärztlichen Tätigkeit interessierten Ärztinnen und Ärzten. Vertretende des Kreises stellten die Region vor und standen für Fragen zur Verfügung.

Vor Wesel fanden bereits Landpartien in den Kreisen Kleve, Heinsberg, Viersen und im Oberbergischen Kreis statt. Geplant ist, das Angebot weiter auszubauen. Das Konzept, Wissenswertes rund um die Niederlassung mit konkreten Informationen zum Arbeiten und Leben vor Ort zu verbinden, wird sowohl von suchenden Praxen als auch von potenziellen Neueinsteigenden sehr gut angenommen.

  • Thomas Lillig

Info

Die KV Nordrhein fördert approbierte Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildungsphase, die sich als Allgemeinmedizinerin oder Allgemeinmediziner oder als Fachärztin beziehungsweise Facharzt verschiedener Fachrichtungen in Nordrhein niederlassen möchten. Darüber hinaus gibt es Förderprogramme für Quereinsteigende, zum Beispiel Allgemeininternistinnen und –internisten in Kliniken.

Die Niederlassung in Gebieten, in denen die ambulante Versorgungslage angespannt ist, wird unter anderem mit Investitionskostenzuschüssen und Zuschüssen für die Gründung von Zweigpraxen unterstützt. Praxisinhabende, die eine Hausärztin oder einen Hausarzt oder eine Ärztin beziehungsweise einen Arzt einer bestimmten Facharztgruppe in einem Fördergebiet anstellen, können außerdem eine Anschubfinanzierung von bis zu 50.000 Euro erhalten.

Seit Einführung des Strukturfonds 2018 haben sich 390 Ärztinnen und Ärzte nach Teilnahme an Fördermaßnahmen für die vertragsärztliche Tätigkeit entschieden. Die KV Nordrhein gewährte 176 Investitionskostenzuschüsse. 110 Ärztinnen und Ärzte absolvierten ein Qualifizierungsjahr, 70 kamen über den Quereinstieg ins System. Die Fördermittel belaufen sich auf 27,2 Millionen Euro.

Ausführliche Informationen zum Praxiseinstieg und die verschiedenen Förderpakete im Rahmen des Strukturfonds finden sich unter
arzt-sein-in-nordrhein.de