KVNO aktuell Letzte Änderung: 27.03.2024 15:37 Uhr Lesezeit: 6 Minuten

Psychotherapeutische Angebote: „Die Gruppentherapie empfinde ich als Bereicherung“

Patientinnen und Patienten warten immer länger auf einen Psychotherapieplatz. Die Lage könnte sich etwas entspannen, wenn mehr Psychotherapeutinnen und –therapeuten auch Sitzungen in der Gruppe anböten.

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© privat

Für Bernhard Schulwitz ist diese Form der Behandlung fester Bestandteil des Praxisalltags. Der Psychologische Psychotherapeut mit Sitz in Düsseldorf weiß aus langjähriger Erfahrung, dass mit der Behandlung in der Gruppe durchaus große Fortschritte erzielt werden können – auch ohne begleitende Einzeltherapie. Im Interview mit KVNO aktuell erzählt er, welche besondere Dynamik dieses Format bietet und wie Gruppentherapie gut gelingen kann.

Herr Schulwitz, Sie therapieren viele Ihrer Patientinnen und Patienten im Gruppen-Setting. Warum?
Vor meiner verhaltenstherapeutischen Ausbildung mit anschließender Approbation habe ich zunächst eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten absolviert, was fast ausschließlich im Gruppen-Setting stattfand. Ich habe dabei sehr viele positive Erfahrungen gesammelt. Psychisch Erkrankte können von diesem Format stark profitieren – teilweise so enorm, dass eine begleitende Einzeltherapie nicht immer vonnöten ist. Als ich mich 2021 niedergelassen habe, war für mich sofort klar, dass ich verstärkt mit diesem Behandlungsansatz arbeiten werde.

Das klingt zunächst überraschend. Die erste Annahme wäre doch eher, dass Sie in der Gruppe nicht jedem Teilnehmenden gerecht werden können und Therapieerfolge länger auf sich warten lassen.
Verständlicher Gedanke, aber dem ist nicht so. Ich erlebe, dass Patientinnen und Patienten, die den Schritt in die Gruppentherapie gehen, oft ein Stück näher dran sind, ihr Vermeidungsverhalten abzulegen, sich zu öffnen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.

Aber ist die Hürde für psychisch Erkrankte nicht viel größer, sich in der Gruppe zu öffnen als nur vor Ihnen als Therapeuten?
Natürlich spielt das eine Rolle. Es gibt Vorbehalte und Ängste. Darauf gehe ich natürlich ein. In vorhergehenden Einzelsitzungen nehme ich mir Zeit für diese Themen und erkläre den Ablauf und das Vorgehen in der Gruppentherapie. Dabei betone ich unter anderem, dass niemand gezwungen ist, etwas zu sagen, und dass auch quasi „heimlich“ gelernt werden darf. (lacht)

Was meinen Sie damit konkret?
Unabhängig davon, ob sich jemand direkt mit eigenen Themen in die Gruppe einbringt, ist es schon sehr hilfreich, zu sehen, dass der Einzelne nicht allein mit seinen Problemen ist. Außerdem hat die Validierung der eigenen Empfindungen eine zusätzliche Wirkung, wenn sie nicht nur von Therapeutenseite kommt, sondern eben auch von anderen Gruppenmitgliedern. Ich würde sagen, in der Gruppe vervielfachen sich manche positiven Effekte. Zuversicht zu entwickeln, halte ich zum Beispiel für ein zentrales Moment. Patientinnen und Patienten bekommen schneller das Gefühl, es aus einer momentan schwierigen Phase herauszuschaffen, wenn sie hören, wie andere es meistern, die vielleicht schon einen Schritt weiter sind. Dieser Austausch authentischer Erfahrungen ist in Einzelsitzungen so nicht möglich.

Wie setzen Sie Ihre Gruppen zusammen, sind diese störungsbildspezifisch?
Nein, zurzeit arbeite ich nicht mit rein störungsspezifischen Gruppen, obwohl auch das sinnvoll sein kann. Meiner Erfahrung nach ist es möglich, dass psychisch Erkrankte mit unterschiedlichen Störungsbildern gemeinsam an der ambulanten Gruppentherapie teilnehmen und profitieren. Oft finden sich in den Ursachen für psychische Erkrankungen Überschneidungen bei den Gruppenmitgliedern. Die akute Symptomatik hingegen kann sich unterschiedlich zeigen. Jede und jeder reagiert individuell.

Was sind die Herausforderungen in der Gruppe?
Es ist wichtig, zu Beginn Zeit einzuplanen, um ein achtsames und respektvolles Miteinander zu etablieren. Weiterhin werden behutsam Offenheit und Bereitschaft gefördert, um jedem Gruppenmitglied die Möglichkeit zu geben, an persönlichen Themen zu arbeiten. Gruppenpsychotherapie bedeutet für mich Einzeltherapie in der Gruppe. Die Autonomie jedes Teilnehmenden ist dabei wichtig und wird von mir stets betont. Oft lassen sich innerhalb der Gruppe allerdings auch psychoedukative Elemente einbauen, sodass sich das relevante Wissen der Patientinnen und Patienten zunehmend erweitert und festigt.

Eine besondere Herausforderung besteht darin, dafür zu sorgen, dass die festgelegten Regeln für das Gruppen-Setting immer eingehalten werden. Zum Beispiel, dass Einzelne nicht zu sehr ins Detail gehen, wenn sie von traumatischen Erlebnissen berichten, damit es für andere Teilnehmende nicht zu schädigenden Erfahrungen kommt. Zudem besteht meine Aufgabe darin, jeden und jede über die gesamte Sitzung im Blick zu haben. Nonverbale Reaktionen können zum Beispiel ein Indikator für entsprechende Interventionen sein. Dann kann es hilfreich sein, zu erinnern, dass es grundsätzlich immer möglich ist, etwas im Rahmen der Gruppe anzusprechen.

Die Gruppentherapie empfinde ich persönlich als Bereicherung und es beinhaltet für die Teilnehmenden die Chance, vielfache Impulse für den eigenen Fortschritt zu erhalten. Zudem bringen wir so mehr Patientinnen und Patienten schneller in die Versorgung. Das A und O ist, dass diese gut auf die ambulante Gruppenpsychotherapie vorbereitet werden.

  • Das Interview führte Jana Meyer

Warum gibt es nicht mehr Sitze für Psychotherapie?

In der Bedarfsplanungsrichtlinie ist die Berechnung der Anzahl der Psychotherapiesitze bundesweit festgeschrieben. Im Zulassungsausschuss in Nordrhein wurden über Sonderbedarfe darüber hinaus bereits zusätzliche Sitze genehmigt. Auch das Land NRW hat mit der KVNO für ländliche und strukturschwache Regionen zusätzliche Sitze geschaffen. Dennoch sind Wartezeiten hoch. Gruppentherapien sind daher ein weiterer Ansatz, das Versorgungsangebot auszuweiten und die Versorgung für mehr psychisch Erkrankte zu verbessern.

Alle Infos zum Thema Gruppentherapie
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Gruppenpsychotherapie anbieten zu können? Welche Möglichkeiten gibt es, wenn die eigenen Praxisräume zu klein für Sitzungen mit mehreren Teilnehmenden sind? Die KV Nordrhein informiert kompakt und übersichtlich zu allen wesentlichen Fragen zum Thema Gruppenpsychotherapie unter kvno.de/gruppenpsychotherapie.