Notdienst Veranstaltung Letzte Änderung: 27.09.2022 16:25 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

KVNO-Talk: Effizient und bewährt – ambulanter Notdienst ist ein Prototyp intersektoraler Versorgung!

Es geht los: Nach langer Vorbereitung ist die neue Krankenhausplanung der NRW-Landesregierung zum 1. September in die Umsetzung gestartet. Das Vorhaben ist nicht weniger als ein Mammutprojekt, das auch beträchtliche Folgen für den niedergelassenen Bereich haben wird – hier vor allem für die Organisation des ambulanten Notdienstes.

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© KV Nordrhein / Malinka

Was die Krankenhausreform für die Vertragsärzteschaft im Rheinland konkret bedeutet und wie sie sich auf die zukünftige Entwicklung des Notdienstes auswirken könnte – darüber diskutierten der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Dr. med. Frank Bergmann, und sein Stellvertreter, Dr. med. Carsten König, mit NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, dem Gesundheitsökonom Prof. Dr. med. Reinhard Busse und dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Köln, Prof. Dr. Dr. Alexander Michael Lechleuthner, gestern Abend im Rahmen des Formats  „KVNO-Talk“. 

 

Sektorenübergreifende Versorgung „at its best“

Doch zunächst zum Status Quo: In keinem anderen Bereich kooperieren Niedergelassene und Krankenhausärztinnen und -ärzte so eng und nahtlos wie im Notdienst. Treibende Kraft hinter dieser Erfolgsgeschichte ist das Modell der Portalpraxis, die als Schnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Sektor eine gezielte Steuerung von Patientinnen und Patienten im Notfall ermöglicht. Für KVNO-Chef Bergmann ist sie eine Win-win-Situation für alle – Niedergelassene, Krankenhäuser, aber auch Patientinnen und Patienten, die nunmehr rund um die Uhr eine zentrale Anlaufstelle im Notfall hätten: „Im Fall der Portalpraxis hat sich die Zusammenarbeit mit dem stationären Bereich bestens etabliert und bewährt; das zeigt der uns erreichende Zuspruch, besonders auch durch die Krankenhäuser, die erheblich entlastet wurden und darum auch nicht mehr auf die erprobten Strukturen verzichten wollen“, sagte Bergmann. Damit sei der gemeinsame Tresen schon heute ein Prototyp der politisch vielfach geforderten sektorenübergreifenden Versorgung – und das ganz im Interesse der Patientinnen und Patienten.

Für Nordrhein sei daher völlig klar, dass die Niedergelassenen weiterhin zu ihrem Versorgungsauftrag auch in sprechstundenfreien Zeiten und damit zum ärztlichen Bereitschaftsdienst stehen. Von einer klaren Positionierung der Vertragsärzteschaft für die Zukunft sprach KVNO-Vize König. Das arbeitsteilige Modell der Portalpraxis führe zwei Welten an einem gemeinsamen Tresen zusammen und sorge damit für massive Entlastungen – zumal in den ländlicheren Regionen, in denen sich der Erhalt der Notdienststrukturen zunehmend schwierig gestalte: „Gerade beim Thema Kosten wissen wir, dass die alte und eher dezentrale Struktur der Notdienstpraxen mit vielen kleinen Standorten der Realität schlicht und einfach nicht mehr gerecht geworden ist“, machte König deutlich. Zwar käme es hin und wieder vor, dass Anfahrtswege in Folge der Verlagerung von Praxisstandorten länger geworden seien – dies aber stets zugunsten einer qualitativ hochwertigen Versorgung vor Ort.

Eine Frage des Vertrauens

Von den rund 80 Notdienstpraxen in Nordrhein sind heute mehr als die Hälfte in Form einer Portalpraxis organisiert – eine Flächendeckung ist also schon erreicht. Schon im nächsten Jahr werde man die Umstellung im Notdienst zum Abschluss bringen können, erklärte Bergmann weiter. Doch bleibe darum bei der Weiterentwicklung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes noch einiges zu tun. Nicht zuletzt bei den Themen Digitalisierung, dem Angebot von Videosprechstunden wie auch der Verschränkung von 112 und von 116 117 im Sinne eines virtuellen gemeinsamen Tresens mit einheitlicher Ersteinschätzung lägen große Potenziale, die es zu heben gelte. Dafür brauche es vor allem eins: Vertrauen in und Rückendeckung durch die Politik. Gerade letzteres habe in jüngster Vergangenheit – zumindest auf der Bundesebene – jedoch entschieden gelitten, kritisierte Bergmann im Hinblick auf die aktuell diskutierte Neupatientenregelung und forderte einen Bestandsschutz für die Errungenschaften der ambulanten Versorgung.

Ein Modell für die Zukunft

Entwarnung gab es vom NRW-Gesundheitsminister: „Ich bin froh, dass wir mit den Portalpraxen so gut vorangekommen sind. Da der gemeinsame Tresen der beste Weg ist, bin ich überzeugt, dass er sich auch in Zukunft durchsetzen wird.“ Die Frage, ob in Folge seiner Reform auch Krankenhäuser schließen müssten, denen eine Portalpraxis angegliedert ist, hält Laumann für rein theoretischer Natur: „Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dort, wo Portalpraxen eingerichtet sind, es sich auch um Krankenhäuser handelt, die in der Versorgung der jeweiligen Region eine ganz zentrale Bedeutung haben. Die Corona-Pandemie hat uns darüber hinaus gelehrt, dass ein Krankenhaussystem niemals auf Kante genäht werden darf. Hier brauchen wir Spielräume für den Fall der Fälle.“

Eine entschiedene Absage erteilte der Minister hingegen einer möglichen Ausdehnung des Notdienstes auf die Zeit der regulären Sprechstunde. „Dafür haben wir weder die Kapazitäten noch die personellen Ressourcen – insbesondere im hausärztlichen Bereich. Eine Öffnung wäre im ambulanten Sektor nur um den Preis einer Verkürzung der Sprechstundenzeiten zu haben. Und das kann wirklich keiner wollen. Ich hoffe inständig, dass uns die Bundespolitik hier keinen Strich durch die Rechnung macht“, so Laumann. Angesprochen auf das Koalitionsvorhaben der Ampel, künftig bundesweit Integrierte Notfallzentren (INZ) einführen zu wollen, gab sich der Minister gelassen: „Prinzipiell halte ich das Konzept des INZ für keine schlechte Idee. Trotz alldem sollte man in Berlin erkennen, dass es auf die Strukturen vor Ort ankommt. Sie entscheiden über die Umsetzbarkeit und die Maßstäbe guter Versorgung. Regionale Voraussetzung sind nun mal verschieden – gerade in einem Flächenland wie NRW.“

Blaupause für den Bund

Über Leitlinien und den Einfluss NRWs auf die derzeitigen Überlegungen zu einer Reform der Krankenhausplanung auf Bundesebene äußerte sich Prof. Dr. Reinhard Busse. Neben seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor an der TU Berlin ist er auch Mitglied der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Für ihn ist klar: Ohne Unterstützung durch den ambulanten Sektor kann es keine erfolgreiche Krankenhausreform geben. Doch dürfe dieser Umstand nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Planung zwangsläufig auch ein Balanceakt sei: „Bei alldem dürfen wir die Zahlen nicht aus den Augen verlieren. Obwohl statistisch rund die Hälfte aller Notfälle ambulant behandelt werden, kann das aber nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass automatisch jedes Krankenhaus damit über eine eigene Portalpraxis verfügen kann. Hier gilt es, sorgsam abzuwägen.“

Busse geht davon aus, dass es perspektivisch zu einer noch engeren Verzahnung von ambulantem und stationärem Bereich kommen müsse, um die Patientenversorgung in Zukunft verlässlich regeln zu können. Nach dem Vorbild der Portalpraxis brauche es weitere Ansätze intersektoraler Versorgung mit einem zentralen Anlaufpunkt. „Die aktuelle Lage mit verschiedenen Rufnummern und Anlaufstellen ist für die Menschen noch zu unübersichtlich. Wir benötigen zwingend eine zentrale Stelle, an die sich Patientinnen und Patienten im Notfall wenden können“, bilanzierte Busse.

Soziale Faktoren im Notdienst

Zustimmung kam vom ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Köln. Er verwies auf die soziale Komponente, die im Bereitschaftsdienst perspektivisch eine sehr viel größere Rolle einnehmen müsse. Unterschiede gebe es nicht zuletzt bei der Kontaktierung bzw. Inanspruchnahme der örtlichen Strukturen im Notdienst, erklärte Prof. Dr. Dr. Alexander Michael Lechleuthner. „Wir müssen verstehen, dass wir es mit zwei unterschiedlichen Populationen zu tun haben. Gut ein Drittel aller Anrufer der 112 etwa sind Menschen, die gerade unter freiem Himmel medizinische Hilfe benötigen, die ohne festen Wohnsitz sind oder im öffentlichen Raum von einem gesundheitsbeeinträchtigenden Ereignis betroffen sind; es handelt sich in der Regel um eine Gruppe, die nicht selbst Kontakt zum Notdienst aufnimmt oder aufnehmen kann, sondern für die angerufen wird. Das Gros von ihnen landet in den zentralen Notaufnahmen, wo festgestellt wird, dass gar keine lebensbedrohliche Gefahr vorliegt. Für die Krankenhäuser ist dies eine enorme Belastung“, betonte Lechleuthner. Er plädiert daher für eine stärkere Einbindung sozialer Einrichtungen und Dienste, um die Betroffenen in die passende Behandlungsschiene und damit vermehrt auch in den niedergelassenen Bereich zu steuern. Andernfalls drohe den Krankenhäusern über kurz oder lang ein Kollaps: „Die Krankenhäuser werden allein aus personellen Gründen bald nicht mehr in der Lage sein, das zunehmende Patientenaufkommen zu bewältigen.“ Dem müsse man dringend entgegensteuern – allen voran mit Aufklärung und sozialen Diensten, so Lechleuthner.

Aufzeichnung KVNO-Talk vom 26.09.2022

Kontakt

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