Veranstaltung KVNO aktuell Letzte Änderung: 19.05.2023 00:00 Uhr Lesezeit: 5 Minuten

Gesundheitskongress des Westens: Ohne Kooperation geht es nicht – Schlaglichter auf die ambulante Versorgung von morgen

Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten schaffen – auch dann, wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen knapper werden. Dies war eines der zentralen Themen des 17. Gesundheitskongresses des Westens, der am 3. und 4. Mai im Kölner Gürzenich stattgefunden hat. Gemäß dem diesjährigen Motto – „Raus aus dem Krisenmanagement – rein in eine nachhaltige Zukunft!“ – diskutierten die teilnehmenden Expertinnen und Experten aus Gesundheitswesen und -wirtschaft über Perspektiven, Herausforderungen und Chancen des Gesundheitssystems nach knapp drei Jahren im Zeichen der Corona-Pandemie.

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© KV Nordrhein
Eine Frage des Machens: Um die angespannte Personalsituation im ärztlichen Bereitschaftsdienst abfedern zu können, braucht es einheitliche Vorgaben für mehr Steuerung, betonte Nina Hammes im Kölner Gürzenich. Wichtige Schritte aus Sicht der KVNO-Geschäftsführerin sind unter anderem die virtuelle Zusammenlegung von 116 117 und 112 sowie die dauerhafte Implementierung telemedizinischer Angebote.

Mehr als 85 Millionen Arztfälle 2022 allein in Nordrhein sprechen eine deutliche Sprache: Garant der ambulanten Versorgung ist die niedergelassene Vertragsärzteschaft“, machte Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), den Auftakt in den diesjährigen Kongress. Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung präsentierte der KVNO-Chef einen Zehn-Punkte-Plan, wie eine qualitativ hochwertige und patientennahe Versorgung auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Die Zeit zum Handeln dränge, denn veränderte Voraussetzungen in der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit sowie weitere Ambulantisierung stellten Herausforderungen dar, die mit den tradierten Instrumenten nicht zu bewältigen seien.

Mehr Steuerung und Koordination

Nach Einschätzung Bergmanns wird es vor allem darum gehen müssen, Drehtüreffekte in den Praxen zu vermeiden. Mit rund 20 Arzt-Patienten-Kontakten pro Patient und Jahr falle die Frequenz in Deutschland derzeit aber gut doppelt so hoch aus wie im europäischen Ausland. Allein in Nordrhein sei die Anzahl der Kontakte im vergangenen Jahr um drei Millionen angestiegen. Entlastungspotenzial für die Niedergelassenen sieht der KVNO-Chef in einer effizienteren Steuerung und Koordination, gepaart mit arbeitsteiligen Ansätzen wie bei der Delegation. Ergänzend müssten hausärztliche und fachärztliche Behandlungszentren als Teampraxen ausgebaut und gefördert werden.

Die Vorschläge der Regierungskommission, für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung den ambulanten Notdienst zu einem 24/7-Service auszubauen, tat Bergmann vor dem Hintergrund ohnehin knapper Ressourcen als „realitätsfern“ ab. „Statt die verfügbare Arztzeit zu strapazieren, brauchen wir ein ressourcenorientiertes, gestuftes und gesteuertes Vorgehen, das nach dem Erstkontakt über die 116 117 auch digitale Angebote wie etwa Videosprechstunden beinhaltet. Wie im stationären Sektor müssen die Vorhaltestrukturen im ambulanten Notdienst und in der Regelversorgung finanziert werden“, forderte Bergmann.

Faire Wettbewerbsbedingungen herstellen

Größtes Problem aus Sicht des KVNO-Chefs ist aber die unzureichende finanzielle Ausstattung des ambulanten Sektors: „Den gestiegenen Anforderungen an die Praxen steht eine systematische Unterfinanzierung gegenüber, die die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zunehmend vor existenzielle Probleme stellt.“ Schon heute bestehe ein Defizit von rund acht Milliarden Euro. Bergmann plädiert darum für einen „schnellen verbindlichen und langfristig angelegten Plan zur Beseitigung der seit Jahren herrschenden Unterfinanzierung und Benachteiligung der Praxen gegenüber dem stationären Bereich“ – dies nicht zuletzt auch als positives Signal für den vertragsärztlichen Nachwuchs.

Ein Nachsteuern bei der Finanzierung sei umso wichtiger, als mit der Ambulantisierung tatsächlich ein wertvoller Beitrag zu einer hochwertigen, kosteneffizienten und schnelleren Patientenversorgung geleistet werden könne. Bestes Beispiel aus Sicht Bergmanns ist das ambulante Operieren, bei dem der geltende AOP-Vertrag bei der Vergütung auf Bundesebene falsche Impulse setze. Hier wie für den Erfolg der Ambulantisierung insgesamt sei aber entscheidend, dass faire Wettbewerbsbedingungen hergestellt und dieselben Leistungen auch zu denselben Preisen entgolten würden.

Kooperation statt starrer Sektorengrenzen

Ein wichtiger Punkt aus Sicht des KVNO-Chefs war schließlich das Thema der sektorenübergreifenden Versorgung. Für mehr Versorgungssicherheit brauche es gestufte Modelle, die eine bessere Koordinierung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Praxis auf der einen und den Krankenhaus-Ambulanzen auf der anderen Seite beförderten. „Statt starrer Grenzen zwischen den Bereichen sind transsektorale Ansätze erforderlich, um dem gestiegenen Versorgungsbedarf kooperativ begegnen zu können“, sagte Bergmann. Dafür nötig sei aber eine Reihe struktureller Veränderungen, die nur in ihrer Gesamtheit eine nachhaltige Wirkung entfalten könnten. Als selbstständige Unternehmer seien die Niedergelassenen für Investitionen in die Zukunft der Versorgung auf Planungssicherheit angewiesen.

Delegation zunehmend wichtiger

Größere Anstrengungen bei der Fortbildung von Medizinischen Fachangestellten (MFA) forderte KVNO-Vize Dr. med. Carsten König. Die zunehmende Konzentration in der ambulanten Versorgung mache es immer wichtiger, ärztliche Leistungen an qualifiziertes Fachpersonal zu übertragen. „Delegation ist heute ein wichtiges Steuerungsinstrument und kann einen wertvollen Beitrag dazu leisten, bei starker Inanspruchnahme die Aufgaben in den Praxen effizienter zu verteilen. Umso wichtiger ist es, dass die Weiterbildung der MFA besser gefördert wird. Vor allem mit Blick auf die angespannte Finanzlage der Praxen darf Delegation aber nicht zu Honorarkürzungen bei den Kolleginnen und Kollegen führen“, so König. Hier müsse ein entsprechender Rahmen geschaffen werden.

Zwar sei der Beruf der MFA unter jungen Menschen noch immer sehr attraktiv, bisher gelinge es aber zu wenig, ausgebildete Fachkräfte auch in den Praxen zu halten. Für den KVNO-Vize könnten Fortbildungen an dieser Stelle neue Anreize schaffen: „Wir müssen unseren MFA neue Perspektiven geben – das heißt: Aussicht auf Weiterentwicklung und neue Herausforderungen. Dann bleiben sie den Praxen auch erhalten.“

Dr. med. Carsten König
© KV Nordrhein
Neue Perspektiven für Praxismitarbeitende: Eine bessere Förderung der Weiterbildung für MFA forderte KVNO-Vize Dr. med. Carsten König.

Notdienst – eine Frage der Steuerung

Der sich abzeichnende Arztzeitmangel macht sich auch an anderer Stelle bemerkbar. Neben der Regelversorgung ist es vor allem der Notdienst, dem die angespannte Personalsituation zusetzt. Statt einer Ausweitung des Angebots und Diskussionen über Zuständigkeiten brauche es einheitliche Vorgaben für mehr Steuerung, sagte Nina Hammes, Geschäftsführerin der KVNO. „Bisher wurde zu viel Fokus auf die Frage nach der Oberhoheit über den gemeinsamen Tresen gelegt. Versorgung im Notdienst ist aber keine Machtfrage, sondern eine Frage des Machens – und damit kooperativ. Das zeigt auch die Erfahrung: Wenn die Zusammenarbeit funktioniert, ist das ein Gewinn für alle Beteiligten“, betonte die KVNO-Geschäftsführerin. Synergien sieht Hammes unter anderem bei der 116 117, die als zentrales Steuerungselement virtuell mit der 112 verknüpft werden müsse, um Anrufende in die passende Behandlungsschiene zu leiten. Ergänzend sollten auch telemedizinische Angebote wie die Videosprechstunde ausgebaut und als weitere Säule im Notdienst implementiert werden, so Hammes.

Chancen der Vernetzung

Mit der Frage, ob bessere Strukturen auch eine bessere Versorgung bedeuten, beschäftigte sich Jonas Bördner, Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik und strategische Sicherstellung der KVNO. In Anbetracht der Tatsache, dass von den insgesamt 94 Mittelbereichen Nordrheins aktuell 87 für weitere Niederlassungen im hausärztlichen Bereich geöffnet seien, müssten dringend neue Konzepte her, bilanzierte Bördner. „Um mit der laufenden Entwicklung Schritt halten zu können, müssen wir neben den etablierten Versorgungsformen zunehmend auch auf innovative Formate setzen. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Vernetzung – innerhalb der Vertragsärzteschaft, aber auch über die Sektorengrenzen hinaus. Als KVNO wollen wir diese Strukturen nutzen, um gemeinsam neue Versorgungskonzepte zu erproben und – bei gesicherter Finanzierung – in die Regelversorgung zu übernehmen“, so Bördner.

Den Nachwuchs im Blick

Das Thema Versorgungssicherheit griff Linda Pawelski, Leiterin der Abteilung Nachwuchsförderung Ärzteschaft und MFA bei der KV Nordrhein, auf. Als Gründe für den derzeitigen Wandel machte die Expertin den in der jüngeren Ärzteschaft weit verbreiteten Wunsch nach mehr Flexibilität und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus, was Arbeitsmodelle wie die Anstellung begünstige. „Die Erwartungen an das Berufsleben sind heute andere als noch vor 30 Jahren. Das müssen wir anerkennen und dürfen nicht den Fehler begehen, der jüngeren Generation Strukturen aufzudrängen, die heute für viele nicht mehr zeitgemäß sind. Sinnvoller ist es, die neuen Ansprüche ernst zu nehmen und auf sich abzeichnende Entwicklungen frühzeitig und mit den passenden Angeboten zu reagieren“, so Pawelski.
Für die KV Nordrhein sei es daher eine zentrale Säule des eigenen Förderportfolios, den Nachwuchs früh engmaschig zu begleiten, mit den Trends zu arbeiten und neben finanziellen Anreizen auch durch gezielte Information – zum Beispiel im Rahmen der Landpartie – zu unterstützen.

  • Thomas Petersdorff

Zusammenfassung: Zehn-Punkte-Plan für einen nachhaltigen Wandel in der ambulanten Versorgung

1. Arzt-Patienten-Kontakte nachhaltig reduzieren

2. Hausärztliche und fachärztliche Behandlungszentren als Teampraxen  fördern

3. Ambulantisierung fördern und gestufte Versorgungsmodelle Hausarzt–Facharzt–Krankenhaus-Ambulanz entwickeln

4. Versorgung zwischen den Sektoren durchlässig und kooperativ gestalten

5. Digitalisierung sinnvoll ausbauen und Bürokratie abbauen

6. Notdienst ressourcenorientiert und kooperativ gestalten

7. Finanzierung der Vorhaltestrukturen in der Regel-Versorgung wie auch im ambulanten Notdienst

8. Entbudgetierung des ambulanten Systems und nachhaltige Finanzierung der ärztlichen Leistungen sowie der Delegationsleistungen bzw. der Team-Leistungen

9. Völlige Überarbeitung und Neuorientierung der Vergütungsstruktur

10. Förderung und nachhaltige Umstellung des Finanzierungsmodells der ambulanten Weiterbildung im haus- und fachärztlichen Bereich wie in der Psychotherapie