KVNO aktuell Letzte Änderung: 30.08.2023 00:00 Uhr

Krisentreffen in Berlin: KVen senden starkes Zeichen an Politik

Die Niedergelassenen haben am 18. August 2023 in Berlin ein deutliches Zeichen gegen ein „Weiter so“ in der ambulanten Versorgung gesetzt. Mehrere hundert Ärztinnen und Ärzte aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter fast 50 aus dem Rheinland, haben sich im Rahmen einer groß angelegten Krisensitzung entschieden dafür stark gemacht, dass die chronische Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung dringend ein Ende finden muss.

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© KBV
Praxen schlagen Alarm: Gemeinsam machten knapp 800 Ärztinnen und Ärzte in Berlin auf die eklatanten Missstände in der ambulanten Versorgung aufmerksam und erinnerten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an nicht eingehaltene Versprechen.

Die niedergelassene Ärzteschaft ist damit dem gemeinsamen Aufruf der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) der Länder und zahlreicher ärztlicher Berufsverbände gefolgt, um in der Bundeshauptstadt im Rahmen einer groß angelegten Krisensitzung gegen aktuelle Missstände in der Patientenversorgung zu protestieren. Hierzu zählen neben der massiven Unterfinanzierung des ambulanten Systems der Fachkräftemangel im medizinischen Bereich und die Bevormundung der Haus- und Facharztpraxen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.

 

Fokus auf Weiterbildung

Das Bild zeigt Dr. Frank Bergmann während einer Rede auf der KBV VV. Am Podium ist der Schriftzu #Praxenkollaps.
© KBV
Wachsender Bedarf: Bedingt durch die zunehmende Ambulantisierung wird die Weiterbildung in den Praxen immer wichtiger. In Berlin forderte KVNO-Chef Bergmann eine nachhaltige Finanzierung der Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses.

Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), fokussierte sich in Berlin auf das Thema Weiterbildung: „Die Praxen und das KV-System leisten an dieser Stelle eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sie in dem erforderlichen Umfang finanziell nicht mehr allein stemmen können. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren einen Zuwachs an Fördervolumen von fast 60 Prozent ermittelt. Das Gesamtbudget beträgt in Nordrhein aktuell über 56 Millionen Euro. Das sind Gelder, die die Ärzteschaft aus ihren erwirtschafteten Einnahmen bezahlt!

Der Bedarf an ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten wird in den nächsten 20 Jahren dramatisch hoch sein. Wenn das System hier adäquat mit finanzieller Förderung gegensteuern würde, müsste diese Förderung rund 70 Millionen Euro pro Jahr betragen. Das sind 14 Millionen Euro mehr, als wir zurzeit pro Jahr aufwenden. Dies entspricht keiner soliden und gerechten Finanzierung der Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses. Wir brauchen hier wie bei Lehrern oder Juristen eine staatliche Finanzierung der Ausbildung. Wir sind nicht nur die einzigen Freiberufler, die die Kosten für die Sicherstellung der Versorgung selbst zahlen müssen – wir sind auch die einzigen Freiberuflerinnen und Freiberufler, die regelhaft einen Rabatt auf ihre Vergütungen geben müssen.“

Das sind die gemeinsamen Forderungen der Praxen an die Politik:

  1. Tragfähige Finanzierung: Retten Sie die Praxen aus den faktischen Minusrunden und sorgen Sie für eine tragfähige Finanzierung, die auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt!
  2. Abschaffung der Budgets: Beenden Sie die Budgetierung, damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen!
  3. Ambulantisierung: Setzen Sie die angekündigte Ambulantisierung jetzt um – mit gleichen Spielregeln für Krankenhäuser und Praxen!
  4. Sinnvolle Digitalisierung: Lösen Sie mit der Digitalisierung bestehende Versorgungsprobleme. Sorgen Sie für nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik sowie die entsprechende Finanzierung und belassen Sie die datengestützte Patientensteuerung in ärztlichen und psychotherapeutischen Händen!
  5. Mehr Weiterbildung in Praxen: Stärken Sie die ärztliche und psychotherapeutische Weiterbildung! Diese muss – um medizinisch und technisch auf dem aktuellen Stand zu sein – schwerpunktmäßig ambulant stattfinden. Beziehen Sie auch hier die niedergelassene Vertragsärzte- und Psychotherapeutenschaft ein!
  6. Weniger Bürokratie: Schnüren Sie das angekündigte Bürokratieabbaupaket, damit wieder die Medizin im Vordergrund steht und nicht der „Papierkram“!
  7. Keine Regresse: Schaffen Sie die medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab! Die Arzneimittelregresse müssen weg!

Weiter betonte Bergmann, dass die Weiterbildung der niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ein immens wichtiger Baustein im Gesundheitssystem sei, der noch massiv unterschätzt werde: „Durch die nicht zuletzt auch politisch gewollte zunehmende Ambulantisierung wächst der Bedarf an ambulanter Weiterbildung in allen Fachgebieten. Die Krankenhäuser sind schon heute faktisch nicht mehr in der Lage, alle notwendigen Inhalte der ärztlichen Weiterbildung in allen Fachgruppen anzubieten und zu vermitteln, denn: Viele der entsprechenden Prozeduren finden gar nicht mehr stationär statt. Wesentliche Weiterbildungsinhalte können mithin nur noch ambulant vermittelt werden.“

Budgetierung überholtes „Relikt“

Das Bild zeigt die Vertreterversammlung der KBV.
© KBV
Nordrhein mit starker Stimme in Berlin: Rund 50 Mitglieder der KVNO nahmen an der Krisensitzung in der Bundeshauptstadt teil.

Auch für die Budgetierung ärztlicher Leistungen fand der KVNO-Chef deutliche Worte: „Allein in Nordrhein sind zwischen Frühjahr 2022 und 2023 rund 347 Millionen Euro an Vergütungen für die hiesigen Haus- und Fachärzte nicht ausgezahlt worden, weil das Budget dafür nicht ausreicht. Das entspricht rund 85 Millionen Euro pro Quartal. Diese Zahl macht fassungslos! Gleichzeitig müssen wir pro Quartal zusätzlich 14 Millionen Euro für die Finanzierung von Weiterbildung aufwenden – Geld, das ebenfalls für die Auszahlung der Honorare fehlt. Wir brauchen dieses Geld dringend für unsere Praxisteams und können nicht weiter aus eigenem Vermögen zuschießen. Das ist indiskutabel und nicht anständig!“ Bergmann betonte die ambulante flächendeckende wohnortnahe hausärztliche, fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung, die weltweit einmalig sei. „Damit diese Versorgung auch in Zukunft ohne Einschränkungen aufrechterhalten werden kann, müssen jetzt dringendst unsere Forderungen gehört und umgesetzt werden“, sagte er abschließend.

  • Christopher Schneider