Psychotherapie Service Letzte Änderung: 15.05.2023 15:43 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Interview: „Das Gehirn will schöne Gefühle haben.“

Rauchen ist eine Sucht. Das merken Raucherinnen und Raucher spätestens, wenn sie versuchen, damit aufzuhören. Dr. med. Collin Blume ist sowohl Facharzt für Innere Medizin als auch für Psychotherapie. In seiner Doppelrolle als Hausarzt und Psychotherapeut hat er bereits viele Menschen erfolgreich beim Rauchstopp begleitet. Im Interview erzählt er, wie der Weg zum Nichtraucher erfolgreich gelingen kann.

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© privat
Dr. Collin Blume hat eine hausärztliche und psychotherapeutische Praxis in Düsseldorf.

Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt und vieles mehr. Es ist lange bekannt, dass Rauchen das Risiko für viele Erkrankungen enorm erhöht. Warum reicht das nicht als Grund aufzuhören?

Blume:  Wenn es doch so einfach wäre! Selbstverständlich weiß jeder, dass Rauchen ungesund ist. Die Schock-Bilder auf den Packungen sollen auch immer wieder daran erinnern. Trotzdem ist der Rauchstopp schwierig. Das hat mehrere Gründe:

1. Rauchen macht psychisch extrem abhängig.
2. Menschen schaffen es meist wunderbar, die negativen Folgen zu verdrängen – vor allem, wenn sie noch viele Jahre in der Zukunft liegen. Zum Teil aber auch, wenn sie bereits eingetreten sind.
3. Es gibt für Raucher relativ wenig gesellschaftlichen Druck. Als Raucher gehört man trotzdem dazu und hat einen ganz normalen Alltag, in manchen Gruppen gilt Rauchen sogar als cool. Das ist anders als zum Beispiel bei einer Heroinabhängigkeit.

Zum ersten Punkt: Warum macht Rauchen so abhängig?

Blume: Die rein körperliche Abhängigkeit von Nikotin ist zwei, drei Tage nach dem Rauchstopp vorbei. Die psychische Abhängigkeit dauert wesentlich länger, teilweise ein Leben lang. Nikotin kommt sehr schnell im Gehirn an und macht sehr schnell abhängig. Das Gehirn ist ganz wild darauf, schöne Gefühle haben. Es freut sich, wenn das Hormon Dopamin ausgeschüttet wird! Und genau dafür sorgt Nikotin. Wenn man also einmal geraucht hat, will das Gehirn dieses schöne Gefühl wieder haben und verlangt Nachschub – am liebsten immer mehr und immer öfter. Das macht es schwierig, dem Nikotin zu widerstehen.

Was ist die wichtigste Voraussetzung für den Rauchstopp?

Blume: Das Wichtigste ist: Man muss wirklich Nichtraucher werden wollen. Ich biete seit vielen Jahren Raucherentwöhnungskurse an. Die Erfolgsquote liegt am Ende der zwei Monate durchschnittlich bei etwa 90 Prozent, viele der Teilnehmenden schaffen den Rauchstopp auch langfristig. Allerdings sind das alles Menschen, die von sich aus den Willen dazu haben. Auch ich kann nicht helfen, wenn jemand zum Beispiel von den Angehörigen zum Kurs gedrängt wird, aber eigentlich überhaupt kein Interesse daran hat, mit dem Rauchen aufzuhören. Da helfen teilweise auch einschneidende Erlebnisse nicht. Leider rauchen auch viele Patientinnen und Patienten nach Schlaganfällen oder mit einer schweren Lungenerkrankung weiter. Das ist schade und als Arzt ehrlicherweise schwierig mit anzusehen.

Wie kann es gelingen? Was bringen Sie den Kursteilnehmenden bei?

Blume: Erstmal ist entscheidend, selbst zu wissen, in welchen Situationen man zur Zigarette greift: Stress? Langeweile? Gewohnheit? Party? Wer das weiß, kann gezielt Techniken für sich entwickeln, die Situationen zu umgehen beziehungsweise ohne Zigarette durchzuhalten. Wie gesagt: Das Gehirn will schöne Gefühle haben! Die müssen wir dem Gehirn bieten. Deswegen muss Nichtrauchen mit etwas Schönem verbunden werden. Die Erdbeere schmeckt jetzt viel intensiver. Der Husten hört auf. Ich kann die schöne Wanderung mit Freunden gut durchhalten. Mein Bluthochdruck verbessert sich, ich kann die Tabletten absetzen.
Man kann zum Beispiel überall Post-its verteilen, auf denen steht, was jetzt schöner ist, und damit gute Gefühle erzeugen – ganz ohne Nikotin. Das trainiere ich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Es gibt Apps zu anderen Themen, die ganz ähnlich funktionieren. Sie zeigen zum Beispiel, wie viel Geld man bereits gespart hat. Das motiviert.

Über mehrere Wochen …

Blume: Ja, durch Wiederholung prägen sich Dinge ein. Das Gehirn funktioniert beim Rauchstopp genauso wie beim Lernen. Aufnehmen, umsetzen, über Nacht im Schlaf verarbeiten – und das immer wieder von vorn, bis es sich einprägt. Deswegen finde ich eine längerfristige Begleitung sinnvoll, durch eine Gruppe, Therapeuten, Ärzte, Rauchstopp-Paten oder Ähnliches.

Übernehmen die Krankenkassen die Kosten für solche Kurse?

Blume: Die Ärztinnen und Ärzte können nur ein kurzes Aufklärungsgespräch abrechnen, keine langfristige Begleitung. Manche Krankenkassen bezuschussen professionelle Kurse in unterschiedlicher Höhe, da hilft nur eine Nachfrage bei der eigenen Kasse. Einen Teil der Kosten müssen die Teilnehmenden in der Regel selbst tragen. Im Vergleich zum langfristigen Zigarettenkonsum rechnet sich das aber allemal.
Welche Angebote für einen selbst hilfreich sind, sei es eine App oder eine Patenschaft durch einen ehemaligen Raucher, muss jeder für sich entscheiden. Ich drücke allen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, die Daumen und sage: „Probieren Sie es! Wenn es sein muss, auch mehrmals.“