Letzte Änderung: 07.08.2023 11:30 Uhr

Praxen im Rheinland schlagen Alarm: Ambulante Versorgung massiv unterfinanziert

Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Rheinland stehen unter enormem Kostendruck: Steigende Praxis- und Personalkosten gepaart mit der hohen Inflationsrate machen den Praxis-Betrieb immer unrentabler.

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© Zerbor|AdobeStock

Das Honorarbudget in der gesetzlichen Krankenversicherung führt dazu, dass ein wachsender Teil der ambulanten Leistungen nicht zu 100 Prozent, sondern nur abgestaffelt vergütet werden kann. Allein im NRW- Landesteil Nordrhein wurden Honorare von rd. 347 Millionen Euro für die hiesigen Haus- und Fachärzte zwischen Frühjahr 2022 und 2023 nicht ausgezahlt.

„Diese Mittel werden in den Praxen dringend benötigt! Praxen können die gestiegenen Kosten nicht über höhere Preise ausgleichen. Sie sind auf die Zahlungen der Krankenkassen angewiesen. Um ihre Praxen noch am Netz halten zu können, müssen die Kolleginnen und Kollegen aus der ‚eigenen Tasche‘ Geld zuschießen. Das ist nicht hinnehmbar und ist eine große Gefahr für die ambulante Versorgung im Rheinland“, betont Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Die unbefriedigende Honorarsituation ist laut Bergmann auch für viele junge Ärztinnen und Ärzte ein Argument gegen eine Niederlassung in einer eigenen Praxis. Gleichzeitig stehen viele heute niedergelassene Mediziner kurz vor dem Ruhestand und suchen händeringend Nachfolger für ihre Praxen.

Dramatische Finanzlage im niedergelassenen Bereich

Der KVNO-Chef konstatiert, dass die momentane Situation vieler Praxen nicht mehr tragbar ist: „Ich werde nicht müde darauf hinzuweisen, dass den gestiegenen Anforderungen an die Praxen eine systematische Unterfinanzierung gegenübersteht, die die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zunehmend vor existenzielle Probleme stellt. Bei einer Inflationsrate von derzeit über sechs Prozent reicht die zuletzt beschlossene Honorarsteigerung von nur zwei Prozent nicht einmal zum Ausgleich der Personalkosten.

Schon jetzt besteht ein Defizit von rund acht Milliarden Euro. Es braucht schnell einen verbindlichen und langfristig angelegten Plan zur Beseitigung der seit Jahren herrschenden Unterfinanzierung und Benachteiligung der Praxen gegenüber dem stationären Bereich.“

Bergmann verweist in dem Zusammenhang auch auf die Tarifabschlüsse in anderen Bereichen: „Es gibt einem schon zu denken, dass beispielsweise Beschäftigte von Bund und Kommunen durchschnittlich zweistellige Gehaltssteigerungen bekommen, während der für die vertragsärztliche Vergütung ausschlaggebende Orientierungswert – kurz OW – nur marginale Zuwächse deutlich unterhalb der Inflationsrate verzeichnet – die gesetzlichen Krankenkassen fordern derweil weiterhin und scheinbar völlig weltentrückt Nullrunden. Hier stimmen die Verhältnisse einfach vorne und hinten nicht mehr.“

Zukunftsprognose auf dem Tiefpunkt

Der stellvertretende KVNO-Vorsitzende Dr. med. Carsten König, selbst niedergelassener Hausarzt in Düsseldorf, verweist in dem Zusammenhang auf alarmierend schlechte Stimmung in der nordrheinischen Ärzteschaft: „Die Zukunftsprognose unter den Kolleginnen und Kollegen sowie auch bei den Medizinischen Fachangestellten (MFA) ist momentan auf dem Tiefpunkt“.

Immer mehr Medizinische Fachangestellte (MFA) verließen die Praxen in Richtung Krankenhäuser, weil sie dort oftmals besser verdienen, so König. Im stationären Bereich wird die Pflege von den Krankenkassen zu 100 Prozent vergütet. „In den vergangenen gut zwölf Monaten konnten allein im hausärztlichen Versorgungsbereich Leistungen im Umfang von fast 110 Millionen Euro nicht vergütet werden, wurden von den Kolleginnen und Kollegen quasi ‚umsonst‘ erbracht – das hat natürlich auch Auswirkungen auf die möglichen Gehälter der Praxisteams. Da ist es kein Wunder, wenn sich MFA aber auch ärztliche Fachkräfte nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten zur ambulanten Versorgung umsehen“.

Bergmann und König sehen dringenden Handlungsbedarf sowohl auf Seiten der Politik wie auch bei den gesetzlichen Krankenkassen. Andernfalls könne eine flächendeckende ambulante Patientenversorgung nicht mehr gewährleistet werden.

Ambulantem Leistungsangebot droht Einschränkung

In den an diesem Mittwoch beginnenden Finanzierungsverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Krankenkassen im Bund müsse daher neben einem vollständigen Inflationsausgleich auch eine deutliche Steigerung der Preise für alle ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen erzielt werden. „Ritualisierte Nullrunden-Forderungen der Krankenkassen – wie in den letzten Jahren - treffen auf völliges Unverständnis der Vertragsärzteschaft.“

„Sollten die Krankenkassen nicht bereit sein, Verantwortung für ihre Versicherten zu übernehmen und ausreichend Mittel für die ambulante Versorgung zur Verfügung zu stellen, wird sich die wirtschaftliche Lage der Praxen auch im Rheinland weiter verschlechtern. Dann muss am Ende sicher irgendwann auch die Frage gestellt werden, ob das ambulante Leistungsangebot für die gesetzlich Versicherten dem finanziellen Rahmen entsprechend angepasst werden muss“, so der KVNO-Vorstand.

Die KVNO hat diese Pressemitteilung im Rahmen der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg. Gesundheit weg!“ veröffentlicht. Heute und in den nächsten Wochen werden alle KVen im Bund themengleiche Pressemitteilungen in ihren Bundesländern veröffentlichen, um auf die akut gefährdete Situation der ambulanten Versorgung aufmerksam zu machen. Hintergrund sind die Honorarverhandlungen auf Bundesebene, die am 9. August starten.

Höhepunkt der Aktion wird am 18. August eine gemeinsame Krisensitzung der Vertreterversammlungen aller Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin sein. Es werden ärztliche und psychotherapeutische Vertreterinnen und Vertreter aus ganz Deutschland erwartet.

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