Service KVNO aktuell Letzte Änderung: 15.04.2025 14:56 Uhr Lesezeit: 4 Minuten
Interview: "Das Problem ist das Sterben und nicht der Tod“
Gut versorgt zu Hause sterben – ein Wunsch, um den sich Dr. med. Astrid Lueg als Fachärztin für Innere Medizin, Palliativmedizin und Ernährungsmedizin sowie Geschäftsführerin des Palliativteams SAPV Rhein-Erft-Bonn-Euskirchen kümmert.

Seit fast 20 Jahren ist sie Hausärztin in Brühl, und das in dritter Generation: Ihre Großmutter gründete die Praxis. Heute ist Lueg dort in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis mit ihrer Kollegin Dorothea Funke tätig.
Seit wann engagieren Sie sich für das Thema Palliativmedizin?
Dr. med. Astrid Lueg: Ich ließ mich 2006 nieder, da begann auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein damit, die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) aufzubauen. Unsere hausärztliche Praxis war von vornherein so aufgestellt, dass wir unsere Patientinnen und Patienten von der Wiege bis zur Bahre versorgen. Mit einem Netzwerk aus Kolleginnen und Kollegen – Hausärzten aus der nahen Umgebung hier in Brühl – habe ich das Thema aufgenommen. Noch während ich im Krankenhaus tätig war, hatte ich parallel eine Ausbildung als Palliativmedizinerin absolviert.
Viele Menschen verspüren den Wunsch, zu Hause sterben zu wollen. Halten Sie das für gut umsetzbar?
Lueg: Früher war es immer so, da wurde man zu Hause geboren und starb dort auch. Heute leben wir aber nicht mehr im Mehrgenerationenhaushalt zusammen. Im Rheinland hat die Palliativversorgung ihre Wiege – die erste Palliativstation gab es in Köln, das entwickelte sich weiter hin zu den ambulanten Angeboten. Im Krankenhaus ist es vielen Menschen zu anonym, oft sind Stationen nicht darauf ausgerichtet. Das Problem ist das Sterben und nicht der Tod. In den vergangenen 20 Jahren hat man das Sterben zu Hause mit erweiterten ambulanten Angeboten wieder möglich gemacht.
Welche Versorgung ist üblicherweise gefragt?
Lueg: Das ist klassischerweise die Behandlung von Schmerzen und Luftnot, häufig auch Übelkeit. In der Regel sind die Symptomatiken gepaart mit Angst vor dem, was kommt. Wir können zusichern, die Symptome und Ängste zu mildern, sodass die Patientinnen und Patienten diese aushalten können. Wir möchten ihnen Zuversicht geben.
Wie kommen Patienten an diese Versorgung zu Hause?
Lueg: Der behandelnde Fach-, Haus- oder Krankenhausarzt erklärt, dass es nun an der Zeit ist, zu prüfen, wie die Versorgung zu Hause fortgesetzt werden kann und wie die Patientenverfügung berücksichtigt wird. Es wird das Palliativteam zur Sprache gebracht. Man meldet sich bei uns an, sobald der behandelnde Arzt es verordnet hat – oder er meldet den Fall selbst an. Wir nehmen Patienten direkt auf, ohne Warteliste. Und wenn unser Einsatz noch am selben Tag notwendig ist, geschieht das auch.
Worin liegt die Besonderheit für die Patienten?
Lueg: Sie sind es oft gar nicht gewohnt, dass wir sagen: „Wir machen tägliche Hausbesuche und wir sind immer für Sie da.“ Wir besorgen alles, was für die Versorgung nötig ist, auch die Medikamente – ein Rundum-sorglos-Paket eben. Sie können uns jederzeit anrufen, wir stehen jeden Tag rund um die Uhr bereit.
Ihre Teams sind multiprofessionell. Was heißt das konkret?
Lueg: Neben den täglichen Hausbesuchen durch Pflegekräfte umfasst die Versorgung regelmäßige ärztliche Besuche und bei Bedarf auch von unseren eigenen Wundspezialisten. Auf Wunsch ziehen wir Physio-, Ergo- und/oder Logotherapeuten, Psychoonkologen sowie Seelsorger hinzu. Eine große Unterstützung sind außerdem die Ehrenamtlichen der ambulanten Hospizvereine – sie bilden einen zentralen Bestandteil des Palliativteams.
Worin liegen die Chancen der SAPV?
Lueg: Viele Krankenhauseinweisungen kurz vor dem Tod werden vermieden. In Fällen von Schwerstpflegebedürftigkeit können Patientinnen und Patienten aus dem Krankenhaus entlassen werden, da die Versorgung zu Hause sichergestellt ist. Das entlastet auch den Rettungsdienst. Das Palliativteam hilft, den Patientenwillen und die Versorgung daheim umzusetzen – und steht den Angehörigen bei. Schließlich: Die Leistungen der SAPV werden zu 100 Prozent und ohne Eigenanteil von der GKV übernommen, und sie werden nicht auf das Pflegegeld angerechnet.
Wie sehen Sie die Zukunft des Angebots?
Lueg: Diese Angebote sollten erhalten bleiben. Viele Teams arbeiten seit Jahren in dem Bereich. Man sollte hier nicht die institutionalisierte Medizin – etwa in Form investorenbetriebener MVZ – vorantreiben, sondern die Versorgung am Lebensende in den Händen der Hausärzte belassen. Es wäre gut, wenn die Krankenkassen, die Politik, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Ärzteschaft und die Pflege an einem Strang ziehen würden. Wir sollten das Sterben zu Hause nicht zu einer Diskussion um zu teure Ausgaben machen.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Hinterbliebenen?
Lueg: Der Tenor ist oft: „Gott sei Dank waren Sie da“, „Sie konnten dem Betroffenen die Angst, die Schmerzen, die Luftnot nehmen.“ Sehr oft heißt es: „Hätten wir nur früher gewusst, dass es Sie gibt.“
SAPV RheinErft-Bonn-Euskirchen
Das Team setzt sich aus qualifizierten Palliativärzten und –pflegefachkräften zusammen. Sie kooperieren mit den örtlichen ambulanten Pflege- und Hospizdiensten, Seelsorgern, Sozialarbeitern, Psychoonkologen, Apotheken und Sanitätshäusern. Außerdem arbeiten sie eng mit den Haus- und Fachärztinnen und -ärzten sowie Krankenhäusern, Palliativstationen und Hospizen in der Region zusammen.
Zum Start im Jahr 2012 erhielten acht niedergelassene Hausärzte mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin gemeinsam mit der Caritas sowie den ambulanten Hospizvereinen des Rhein-Erft-Kreises die Zulassung des Landesverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, die Versorgung sterbender und schwerstkranker Menschen in der häuslichen Umgebung im südlichen Rhein-Erft-Kreis sicherzustellen.
Inzwischen wurde das Versorgungsgebiet um den Kreis Euskirchen und den Kreis Bonn erweitert. Seit Beginn haben 27 Haus- und Fachärztinnen und -ärzte sowie 53 Krankenpfleger und Krankenschwestern über 5.000 Patienten und ihre Familien in der letzten Lebensphase begleitet. Die Betreuung erfolgte sowohl in der eigenen Wohnung oder im betreuten Wohnen als auch in stationären Pflegeeinrichtungen. Wohngemeinschaften mit Beatmungs-/Intensivpflege und Patienten in den Hospizen in Erftstadt und Euskirchen werden mitversorgt. Große Unterstützung und zentraler Bestandteil des Palliativteams sind die Ehrenamtlichen der ambulanten Hospizvereine.
Das Team plädiert für einen Notfallbogen, in dem deutlich festgehalten ist, was die Patientin oder der Patient sich wünschen. Wie zum Beispiel im "Notfallbogen Metropolregion", den die Praxis auf ihrer Website zur Verfügung stellt.