Verordnung KVNO aktuell Letzte Änderung: 19.05.2023 00:00 Uhr Lesezeit: 5 Minuten

Cannabislegalisierung: Mediziner sehen Freigabe von Cannabis mit Sorge

Seit 2017 ist der Konsum von Cannabis zu medizinischen Zwecken bereits erlaubt. Die Ampelkoalition hat sich in ihr Pflichtenheft geschrieben, die Droge auch zu Genusszwecken zu legalisieren. Doch der Weg dahin ist steinig. Kritik kommt vor allem aus dem Unionslager und der Ärzteschaft. Ob ein Gesetz in dieser Legislaturperiode eingeführt wird?

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Als Mediziner kann Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eigentlich nicht wollen, dass Cannabis legalisiert wird. „Ich rate zu gar keinem Konsum“, sagte er im SPIEGEL-Spitzengespräch mit dem Suchtexperten Professor Rainer Thomasius. Der Politiker Lauterbach steht aber in der Pflicht, den Koalitionsvertrag zu erfüllen. Darin heißt es: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.“

Daran fühlt sich Lauterbach gebunden und hatte deshalb im Herbst 2022 ein erstes Eckpunktepapier vorgelegt. Das fiel nicht nur bei den Gegnern im Unionslager durch, das gegen eine Legalisierung ist, sondern auch bei Koalitionspartnern – allerdings mit anderem Vorzeichen: Den drogenpolitischen Sprecherinnen von FDP und Grünen war der Entwurf zu restriktiv, er sei deshalb nicht geeignet, Schwarzmarktstrukturen zu beseitigen. Zudem bestanden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Planungen – besonders befördert durch ein Gutachten, das der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek in Auftrag gegeben hatte. Das führte gleich mehrere Rechtsakte auf UN- und EU-Ebene an, nach denen die Freigabe von Anbau, Besitz, Abgabe und Konsum von Cannabis zu reinen Genusszwecken als wenig aussichtsreich erscheint.

Legalisierung in zwei Etappen

Lauterbach besserte nach und präsentierte im April gemeinsam mit Bundesernährungsminister Cem Özdemir ein modifiziertes Eckpunktepapier. Damit hofft die Koalition, zumindest Brüssel zu überzeugen. Das Papier sieht nun die Legalisierung des Cannabiskonsums in einem Zwei-Säulen-Modell vor. Jede Säule soll in ein eigenes Gesetz münden, beginnend mit dem „privaten und gemeinschaftlichen nicht-kommerziellen Eigenanbau“: In sogenannten Cannabis-Social-Clubs sollen der Anbau und die Abgabe an registrierte Mitglieder ab 18 Jahre erlaubt sein. Der Im- und Export sind untersagt. Die Preisbildung erfolgt über Mitgliedsbeiträge, gestaffelt nach Abgabemengen. Mitglieder können maximal 25 Gramm Cannabis in Reinform (Blüten oder Harz) pro Tag beziehungsweise maximal 50 Gramm pro Monat erwerben, bis zum Alter von 21 Jahren ist die Abgabemenge auf 30 Gramm pro Monat begrenzt. Monatlich 50 Gramm entsprechen etwa fünf bis sieben Joints pro Tag.

Auch von dem Club erzeugte Samen und Stecklinge für den Eigenanbau sollen an Mitglieder abgegeben werden dürfen, begrenzt auf fünf Stecklinge oder sieben Samen pro Person. Es dürfen zu Hause nicht mehr als drei weibliche Pflanzen aufgezogen werden. Der Konsum in den Club-Räumlichkeiten ist verboten, die Besitzmenge, die man öffentlich mitführen darf, auf 25 Gramm gedeckelt. Die Eckpunkte sehen auch Maßnahmen zum Jugendschutz sowie Qualitätskriterien vor. Zulassung und Überwachung der Cannabis-Clubs werden in den Verantwortungsbereich der Länder delegiert. Nach vier Jahren ist eine Evaluation des Club-Konzepts vorgesehen.

Köln als Modellregion?

Die Hoffnung der Bundesregierung auf grünes Licht aus Brüssel gründet aber vor allem auf der zweiten Säule des Legalisierungsplans: der Errichtung regional und zeitlich begrenzter Modellprojekte. Unternehmen werden die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften in einem „lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmen“ ermöglicht. Mit einer Projektlaufzeit von längstens fünf Jahren sollen so die Folgen einer kommerziellen Lieferkette für Cannabis-Produkte – unter anderem auch sogenannter Edibels, also zum Beispiel Kekse, Fruchtgummis oder Schokolade, in denen die Droge verarbeitet ist – auf den Gesundheits- und Jugendschutz und auf Schwarzmarktstrukturen wissenschaftlich untersucht werden. Die Genehmigung von Abgabestellen soll räumlich begrenzt sein und die Zahl erwachsener Einwohnender berücksichtigen.

Wie viele Modellregionen es geben wird und wodurch sich eine Kommune als Modellstadt qualifiziert, ist noch nicht klar. Ungeachtet dieser Tatsache haben in Köln bereits mehrere Ratsfraktionen für eine Bewerbung der Rheinmetropole votiert. Jan Schirmer, neuer Kreisstellen-Vorsitzender der KVNO in der Domstadt, sieht darin ein „zweischneidiges Schwert“. Einerseits könne durch die Legalisierung vermutlich die Beschaffungskriminalität deutlich reduziert werden, auch für bestimmte Krankheitsbilder könnte es entlastend sein, ohne langwierige Anträge positive Wirkungen der Substanz nutzen zu können. „Andererseits handelt es sich bei Cannabis um eine Substanz mit schwer steuerbarer psychotroper Potenz. Als Psychiater und Neurologe habe ich zahlreiche Patienten behandelt, die durch Cannabis-Konsum ein amotivationales Syndrom, Angststörungen, affektive Störungen und leider auch schwer psychotische Episoden erlitten haben. Aus meiner Sicht sollte der Zugang zu Cannabisprodukten weiterhin nur nach ärztlicher Indikationsprüfung und Beratung erfolgen dürfen, oft gibt es sinnvollere Alternativen. Durch die Legalisierung werden die Nebenwirkungen bagatellisiert und in der Folge wird es zu einem unkritischeren Konsum kommen. Vor allem Jugendliche werden die Substanzen unterschätzen.“

Verordnung von Cannabis zu medizinischen Zwecken
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Wo der Konsum von Cannabis legalisiert wurde, ist dieser deutlicher angestiegen als andernorts, und es gibt auch Folgeprobleme wie die Zunahme an Notaufnahmen oder mehr Verkehrsunfälle. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle ländervergleichende Metastudie des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD).

Ärzteschaft in Sorge

Noch deutlicher kritisiert der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, die Pläne der Bundesregierung. Die angedachten Modellregionen seien „verantwortungslos“, den Cannabiskonsum durch Vereine mit werbenden Bezeichnungen wie Cannabis-Clubs zu verharmlosen sei „grotesk“. Der UN-Drogenkontrollrat habe gerade erst festgestellt, dass die Legalisierung zu mehr Konsum führe, weil sie „natürlich in der Bevölkerung als Signal für eine geringere Gefährlichkeit“ angesehen würde.

„In höchstem Maße skeptisch“ ist auch der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. med. Frank Bergmann, wie Schirmer ebenfalls Neurologe und Psychiater: „Schwerwiegende Gefahren für die Gesundheit von Jugendlichen scheinen mir hierbei bewusst in Kauf genommen zu werden. Ich gehe sogar so weit, von grober Fahrlässigkeit zu sprechen.“ Cannabis könne als psychoaktive Substanz vor allem bei Jugendlichen und Heranwachsenden kognitive Defizite – beispielsweise Aufmerksamkeits- oder Entscheidungsfindungsstörungen – hervorrufen. Bergmann verweist auf Studien, die belegen, dass ein Einstieg zwischen 14 und 16 Jahren noch weitreichendere Konsequenzen wie etwa Hirnleistungsstörungen hat, als wenn Erwachsene mit dem Konsum beginnen. Hinzu komme, dass Menschen, bei denen bereits eine Depression diagnostiziert sei, eher eine Abhängigkeit entwickelten als diejenigen, die vor dem Konsum nicht depressiv waren. So werde die Legalisierung der Droge sicher auch Auswirkungen auf die ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung haben. „Ich rechne mit einem deutlich höheren Behandlungsbedarf bei Suchterkrankungen und depressiven Störungen“.

Regierung fühlt sich auf richtigem Weg

Die Bundesregierung sieht sich mit dem überarbeiteten Eckpunktepapier indessen auf sicherem rechtlichen Terrain, habe man doch nach eigenem Bekunden die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben zuvor „geprüft und bewertet“ und sich zu den Plänen mit der EU-Kommission ausgetauscht. Für April hatte Lauterbach zudem ein eigenes Gutachten angekündigt, das speziell die Auswirkungen der Legalisierung auf Schwarzmarkt und Jugendschutz bewerten sollte. Bis Ende April lag es noch nicht vor. Einen genauen Zeitpunkt der Veröffentlichung blieb das BMG ebenfalls schuldig. Sieht man sich an, wie lange die Einführung legaler Strukturen in anderen Ländern gedauert hat, erscheint die für 2024 angekündigte Realisierung der Modellregionen fraglich.
Noch ist Zeit für überlegte Entscheidungen – damit es nicht so kommt, wie der ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf, Professor Rainer Thomasius, im SPIEGEL-Gespräch skizziert hat: „In fünf Jahren wird Lauterbach feststellen, dass er mit seiner Politik sehr viele Kinder und Jugendliche in die Cannabisabhängigkeit hineingedrängt hat, und wird sagen: Da habe ich einen Fehler gemacht.“

  • Thomas Lillig